Blood, gore and TMI – mein Geburtsbericht

Neben mir atmet es leise und ein wenig hektisch. Während ich schreibe, liegt mein eine Woche altes Kind im Beistellbett neben mir und macht, was Neugeborene so machen. Also nichts Spezielles: atmen, ein bisschen quengeln und glucksen, und irgendwie winzig und niedlich und seltsamerweise ein vollständiger Mensch sein.

Vor einer Woche habe ich diesen winzigen, vollständigen Menschen auf die Welt gebracht. Und das war so:

Wie es irgendwie losging

Angeblich lassen sich ja echte Geburtswehen ganz einfach von Vorwehen oder Braxton-Hicks-Kontraktionen unterscheiden. Sucht man im Internet, findet man ständig tolle Aussagen wie diese: „Echte Wehen erkennst du einfach!“ Oder: „Du weißt dann ganz einfach, dass es losgeht!“ Tja, was soll ich sagen: Ich wusste es nicht. Der Übergang war bei mir fließend, genauso fließend, wie er schon bei meinen stärkeren Vorwehen gewesen war. Dieses intuitive, ominöse „Wissen, dass es jetzt losgeht“ stellte sich bei mir einfach nicht ein.

Am Donnerstagmorgen hatte ich meinen letzten geplanten Termin bei der Ärztin. Kurz davor hatte ich angefangen, leicht zu bluten, was eigentlich nichts heißen muss, außer: Irgendwann die nächsten Tage geht es wahrscheinlich los. Außer, es dauert noch zwei Wochen. Da die Ärztin nach einem Blick auf CTG und Muttermund aber meinte, es würde sie nicht überraschen, wenn es spätestens am Wochenende so weit sei, schöpfte ich Hoffnung, dass meine ständigen Vorwehen endlich in echten Wehen enden könnten.

Nach dem Termin liefen mein Liebster und ich noch etwas durch die Stadt, aßen eine Kleinigkeit zu Mittag, kauften andere Kleinigkeiten ein. Bewegung soll die Wehentätigkeit ja anregen, also bewegte ich mich, bis ich keine Lust mehr hatte. Dann fuhren wir nach Hause. Der Liebste ging arbeiten, und ich trackte meine Wehen.

Irgendwann merkte ich: Die Wehen werden länger, die Abstände kürzer und regelmäßiger. Das hatte an sich nichts zu heißen, das war schon bei meinen Vorwehen so gewesen und hatte mich übel aufs Glatteis geführt. Dieses Mal wurden die Schmerzen aber doch etwas stärker. Noch nicht wirklich richtig schmerzhaft, aber ich dachte mir doch: Besser ein weiteres Mal unnötig ins Krankenhaus, als versehentlich im Taxi gebären. Und so fuhren wir gegen 21 Uhr nach einer Folge Columbo, einem gemütlichen Abendessen und bei einem Wehenabstand von fünf bis sechs Minuten los.

Pläne sind toll! (So lange sie halten.)

Ich schrieb an anderer Stelle schon, dass Informationsbeschaffung für mich eine Möglichkeit ist, mit Unsicherheit umzugehen. Als Vorbereitung auf die Geburt hatte ich darum viel gelesen und recherchiert. Ich hatte ich viele subjektive Berichte in Foren und Blogs gelesen, weil mich gerade das individuelle Erleben interessierte. Ergänzend und zur Einordnung hatte ich mir auch das Buch „The Thinking Woman’s Guide to a Better Birth“ von Henci Goer besorgt. Das Buch ordnet wissenschaftliche Studien aus dem Geburtskontext ein und diskutiert die Lücke zwischen Forschung und Praxis, wo sie vorhanden ist. Und das ist häufiger der Fall, als ich gedacht hätte. Zum Beispiel kommen die meisten Studien zum Thema Dammschnitt vs. Dammriss zu dem Schluss, dass ein Riss vorzuziehen ist: Er heilt meist schneller, ist insgesamt komplikationsärmer und meist weniger tief. Trotzdem gilt in der Praxis oft noch die Meinung, ein Schnitt sei einem Riss vorzuziehen.

Aus Henci Goers Buch habe ich auch den wertvollen Tipp, mir die Kaiserschnittstatistiken von Krankenhäusern der Umgebung anzuschauen, um herauszufinden, welche Ärzt*innenteams besonders ungeduldig und damit schneidfreudig sind. Und, mir einen Geburtsplan zu machen. Das ist eine Art Liste, auf der ich meine Wünsche und Vorstellungen einer idealen Geburt notiere. Immer mit der Wahl, sie bei unerwarteten Ereignissen über Bord zu werfen.

Was ich noch tun sollte.

Pain!

Als wir im Krankenhaus eintrafen, waren die Abstände zwischen den Wehen auf etwa viereinhalb Minuten geschrumpft, die Schmerzen dafür aber deutlich stärker geworden. Die Hebamme, die mich in Empfang nahm, untersuchte den Muttermund. Ihr Befund erschreckte mich etwas: „Fingerdurchlässig“ war der Muttermund, was bedeutet, dass die Wehen bis dahin so gut wie nicht produktiv gewesen waren.

Es ist bei Wehen nicht unwichtig, wie eins damit arbeitet. Im Geburtsvorbereitungskurs habe ich gelernt, dass es wichtig ist, in die Wehen hineinzuatmen, sich zu entspannen, die Muskeln locker zu lassen, das Becken nach hinten zu kippen. Und immer weiter zu atmen, atmen, ruhig atmen. Denn Wehen sollen „muttermundwirksam“ sein, „produktiv“ sein. Sie sollen den Muttermund Wehe für Wehe weiten, bis das Kind durchpasst. Was bei etwa 10 cm Muttermundöffnung der Fall ist.

Entsprechend erschreckend fand ich die Diagnose der Hebamme, „fingerdurchlässig“. Der Muttermund war noch so gut wie geschlossen, und „fingerdurchlässig“ war er beim Besuch meiner Ärztin am Morgen schon gewesen. Was bedeuten musste, dass es noch eine Weile so weitergehen konnte… Und die Wehen folgten schon dicht aufeinander, und auch den Wehenschmerz empfand ich als wirklich schmerzhaft.

Der Hebamme entging nicht, wie ich mich unter dem Wehenschmerz wand, während sie mich ans CTG anschloss und mir das erste Schmerzmittel verabreichte: Buscopan. „Sie sind eine Kandidatin für eine PDA„. Der erste Gedanke, der mir daraufhin durch den Kopf schoss, war: „Boah! Was soll das denn jetzt? Wie unverschämt! Ich bin doch kein Weichei!“, sofort gefolgt von „Ach shit, egal, diese f*cking Schmerzen!!! Gib mir SCHMERZFREIHEIT!“

Ich war klug und sagte einfach nichts.

Nach dem CTG wurde ich stationär aufgenommen. Die Hebamme bot mir ein Entspannungsbad an, und ich sollte bis dahin auf dem Zimmer warten. Während ich wartete, nahmen die Wehen richtig Fahrt auf: Die Abstände wurden kürzer, die Schmerzen stärker. Ich „veratmete“ die Wehen, so gut ich konnte, und wartete auf mein Entspannungsbad. Eine quälend lange Dreiviertelstunde später machte ich mich auf den Weg. Mein Körper reagierte, wie er immer auf starke Schmerzen reagiert, und ich sagte meinem Abendessen ein zweites Mal Hallo.

Die Wanne war tief genug, um mich und meinen Bauch vollständig im Wasser versinken zu lassen, und die Wehen wurden im warmen Wasser erträglicher. Zumindest kurz. Um dann schlimmer zu werden, viel schlimmer. Sie folgten schneller aufeinander, und ich schrie vor Schmerzen. Eine gute Stunde hielt ich es in der Wanne aus, versuchte, so gut ich konnte, zu entspannen und die Wehen „machen zu lassen“. Dann ging es einfach nicht mehr. Ich wollte raus, ich wollte mich irgendwie bewegen, irgend etwas gegen diese Schmerzen tun!

Bliss, thy name is PDA

Vor meine PDA hatte das Schicksal eine schlafende Anästhesistin gestellt, die zunächst geweckt werden musste. Inzwischen war es halb zwölf, und ich bezog unter Schmerzen den Kreißsaal. Mein Muttermund hatte sich auf 2 cm geweitet. Nach allem, was ich bis dahin gelesen hatte, hätte ich die PDA ablehnen müssen: Eine PDA kann die Wehentätigkeit schwächen und den Geburtsfortschritt sogar ganz aufhalten. Und dann einen Kaiserschnitt notwendig machen. Ich wusste aber, dass ich mich unter diesen Schmerzen auf keinen Fall entspannen können würde – und die Hebamme wusste das auch.

Zunächst bekam ich eine Schmerzspritze und irgendwann auch irgendwelches homöopathisches Zeugs, an das ich eh nicht glaube, aber mir war es egal. Alles, damit die Schmerzen weniger werden, alles. Es half nichts. Ich klammerte mich während der immer schneller kommenden Wehen am Gestell des Geburtsbettes fest und am Arm des Liebsten, ich schrie – und versuchte, zu atmen, atmen, entspannen, irgendwie – es war nicht möglich. Die Schmerzen hatten mich fest im Griff, mein Körper verkrampfte bei jeder Wehe und konnte sich in den kurzen Pausen nicht erholen.

„Ihre Wehen sind auch nicht lang genug“, sagte die Hebamme. Sie hatte wohl Recht. Sie dauerten weniger als eine Minute, kamen dafür aber zu schnell, zu oft. Und ich hielt es nicht aus. Ich lag nur noch da und wurde von einer Schmerzwelle in die nächste gedrückt.

Irgendwann gegen halb eins kam die Anästhesistin. Dann ging es recht schnell: Mir wurde ein Formular vorgelegt, das ich lesen und unterschreiben sollte. Zum Glück wusste ich, was eine PDA bedeuten kann, welche Risiken damit verbunden sind. Ich wäre in diesem Zustand nicht in der Lage gewesen, auch nur irgend etwas davon wirklich zu verstehen. Mein Rücken wurde großflächig desinfiziert (ich glaube, die haben eine ganze Sprühflasche Desinfektionszeug auf mir verbraucht), ich bekam ein Mützchen aufs Haar und irgendwas auf den Rücken geklebt, von dem ich später erfuhr, dass es eine Art Op-Fenster war, durch das der Eingriff statt fand. Zwischen zwei Wehen wurde ich örtlich betäubt, dann legte die Ärztin den Katheter zwischen die Wirbel. Ich spürte einige Male einen Druck, ein bisschen unangenehm, aber nicht sehr. Dann etwas Kühles.

Es dauerte einige Minuten, bis die PDA ihre Wirkung zeigte. Aber dann… Die Wehen wurden mit jedem Mal weniger schmerzhaft, bis nur noch der Druck blieb. Und endlich konnte ich mitatmen und entspannen. Ich war unglaublich dankbar.

Das Kind klemmt

Jetzt wurden die Wehen produktiv. Ich konnte mich entspannen, die beste Freundin und mein Liebster leisteten mir Gesellschaft und waren für mich da. Und der Muttermund öffnete sich langsam, Stück für Stück. Auch dank Wehentropf, der dafür sorgte, dass es weiter ging. Erst 4 cm. Die Fruchtblase platzte: Der point of no return. Dann 6, 8 und schließlich gegen kurz nach vier Uhr: 10 cm. Yes!

Leider hatte die Hebamme eine schlechte Nachricht für mich: Das Kind hatte nicht gut auf die letzten Wehen reagiert. Was das denn heißen würde, fragte ich. „Die Herztöne werden schwächer, wenn eine Wehe kommt. Wir wissen nicht, warum. Und das Köpfchen sitzt noch nicht im Becken. Wir müssen den Wehentropf ausstellen und hoffen, dass das Kind von alleine nach unten rutscht.“ Denn sonst wäre ein Not-Kaiserschnitt unumgänglich.

Gut. Also Becken in kopfrutschoptimale Haltung bringen – und bei abgestelltem Wehentropf und voll aufgedrehter (wehendämpfender) PDA: warten. Der Liebste war an diesem Punkt mit den Nerven fertig. Wozu ich denn die ganze Nacht durchlitten hätte? Irgendwie kam das nicht an mich ran. Ich war froh, alles, was in meiner Kraft gestanden hatte, getan zu haben. Ich fühlte mich, trotz der Schmerzen, trotz des langsamen Fortschrittes, überhaupt nicht entmündigt, sondern eher empowert. Ich hatte das Gefühl, dass keine der Entscheidungen über meinen Kopf hinweg getroffen wurde. Ich fühlte mich immer gut informiert und hatte das Gefühl, gehört zu werden.

Nach einer Stunde des Wartens – die beste Freundin hatte sich inzwischen auf Station kurz hingelegt – kam dann die Entwarnung: „Der Kopf ist unten!“ Allerdings war die Hebamme, die mich die ganze Nacht hindurch begleitet hatte, unsicher, ob eine vaginale Geburt nicht doch zu riskant sei. „Wissen Sie, ich bin von Anfang an dabei, und ich fiebere mit und will, dass es auch klappt! Ich bin einfach nicht mehr sicher, ob ich noch objektiv bin. Meine Kollegin ist gerade gekommen, die soll mal einen Blick drauf werfen…“ Ich war geradezu gerührt davon, wie reflektiert „meine“ Hebamme war.

Und als die Kollegin meinte: „Wieso, der Kopf ist doch unten!“, ging alles plötzlich sehr schnell.

Von Null auf 100 in unter 10 Minuten

„Es muss jetzt alles sehr schnell gehen, Ihr Kind hält die Wehen nicht gut aus. Wir müssen einen Dammschnitt machen.“ Dammschnitt. Ausgerechnet. Das hatte ich wirklich nicht gewollt. Mein Liebster war sofort zur Stelle und fragte wie vorher besprochen, ob das wirklich nötig sei. „Einen Riss in Kauf nehmen wäre nicht möglich…?“ fragte ich. Nein, war es nicht. „Es geht darum, den Geburtsvorgang zu beschleunigen. Das Kind könnte sonst zu Schaden kommen.“

Die Sache war für mich klar. Ich konnte nur wählen zwischen Dammschnitt oder Kaiserschnitt, denn ich wollte das Kind auf keinen Fall gefährden. So wurde der Wehentropf wieder angestellt, die PDA ausgemacht. Die inzwischen anwesende Ärztin machte beherzt den Schnitt – und es ging los. „Nehmen Sie Ihre Beine in die Hände und ziehen Sie sie feste an! Machen Sie sich ganz klein und rund! Und wenn eine Wehe kommt, pressen Sie, so feste Sie können!“

Während der letzten Stunde voll aufgedrehter PDA waren meine Beine vollständig gefühllos geworden. Ich konnte zwar noch mit den Zehen wackeln, hatte aber keine Kontrolle über meine Beine mehr. Ich packte also meine schlappen Beine in den Kniekehlen und hob sie mit Hilfe der beiden Hebammen. Denn Beine, die nicht mehr willentlich gesteuert werden können, sind unheimlich schwer! Die PDA hatte auch dazu geführt, dass ich die Presswehen nicht spürte. „Sie müssen mir die Wehen ansagen, ich kann sie nicht fühlen!“ sagte ich den Hebammen. Und das taten sie auch.

Die eigentliche Geburt ging rasend schnell. Pressen, pressen! Ich war in der eigenartigen Situation, einen quasi nicht mehr spürbaren Körper mit aller mir zur Verfügung stehenden Kraft dazu bringen zu müssen, etwas zu tun, was ich noch nie im Leben getan hatte und von dem ich auch nicht wirklich wusste, wie es gehen sollte. Die zwei Hebammen unterstützten mich, so gut sie konnten. Sie übten mit ihren Ellenbogen Druck auf den Bauch aus und stützten meine Beine. Auch eine Woche später habe ich noch leichte Blutergüsse auf meinem Bauch.

„Pressen Sie! Machen Sie sich ganz klein! Feste!“ Ich konnte gar nicht glauben, wie schnell es ging. Drei, vier Mal presste ich in der ersten Wehe. „Jetzt langsam! Hecheln!“ Ich wusste nicht, warum, ich spürte ja nichts. Aber ich hechelte. Und in der 2. Wehe war plötzlich der Kopf da, und in der 3. nach ein paar weiteren Stößen flupschte das Kind nur so aus mir raus. Und es war da. Eben noch Theorie im Bauch, und plötzlich ganz real und – da.

Es hatte keine zehn Minuten gedauert.

Die Ärztin verschwand kurz und kam mit etwas in der Hand zurück, das aussah wie ein Kassenzettel. Sie gab ihn mir. „Wir haben die Sauerstoffsättigung während der Geburt aufgezeichnet. Es ist alles in Ordnung.“ Die Nabelschnur hatte sich um den Hals gelegt, darum waren die Herztöne während der Wehen schwächer geworden. Kurz wurde mir anders.

Dann durchtrennte der Liebste die Nabelschnur, und sie legten mir das Kind auf den Bauch. Ich war einfach nur erschöpft, verwirrt – und hatte Hunger. Von der Geburt hatte ich nichts gespürt, es war plötzlich so schnell gegangen, und alles kam mir merkwürdig irreal vor.

Das Kind neben mir atmet leise.

tl;dr

Lies den Text, ey. Ich weiß, dass er lang ist, ich habe ihn geschrieben. Das ist ein Bericht! Von meiner Geburtserfahrung. Der lässt sich nicht auf einen knackigen Satz runterbrechen!

Na gut, vielleicht doch: PDA ist super, und am Ende war alles doch irgendwie schnell vorbei.

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